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Emsig glitt währenddessen das Mäuschen über seinen weichen Teppich, nach rechts und nach links, nach oben und unten. Schliesslich wurde die Hand müde, die sich mehr von ihm leiten liess als umgekehrt und es wurde Feierabend gemacht. Am andern Tag, als die Chefin aus dem Hause gegangen war, fasste sich der Pinsel ein Herz und rief fragend zur Maus hinüber, was sie denn da in ihrer Ecke immer zu tun hätte. Und ob sie eigentlich wüsste, dass er bis anhin der Herr im Hause gewesen sei und auch gedenke, es zu bleiben. Lange sehe er nämlich ihrem Tun nicht mehr zu. Da brüstete sich die Maus mit den Worten: "Du verstehst halt nichts von Technik, das ist viel interessanter, als Deine Kleckserei. Mit mir kann die Herrin durch die Luft in alle Windrichtungen reisen. Auch haben wir einen unsichtbaren Briefkasten, wo ich täglich ihre Luftpost abhole. Aber ein einfacher Pinsel wie Du kann sich das natürlich nicht vorstellen." Der Pinsel sagte nichts mehr. Er dachte nur: "Dafür hat sie keine Ahnung von Kunst, die es schon lange vor der Technik gegeben hat."  Im übrigen wartete er gespannt auf die Reaktion seiner Herrin, wenn sie die von ihm angerichtete Bescherung bemerken würde. "Das ist meine berechtigte Rache für erlittenes Unrecht", dachte er mit Genugtuung. Ganz wohl war im zwar nicht dabei - ob er sich vielleicht damit das verbliebene Restchen Zuwendung auch noch verscherzen würde? 

Im Hause war es still, niemand war anwesend - auch nicht der Haushund. Die Maus mochte nicht sprechen, da sie keine Antworten  mehr bekam. Sie sinnierte der ganzen Sache nach und langsam stieg Eifersucht auch in ihr empor. Wieso hatte ihre Herrin nie etwas von der Existenz des Pinsels gesagt und sie im Glauben gelassen, sie sei ihr einziger Liebling? Sie, die Maus, hatte sich immer so angestrengt, um alle Wünsche ihrer Herrin prompt und zuverlässig auf den Bildschirm zu zaubern und liess sich dafür unermüdlich hin und her schieben, manchmal halbe Tage lang. Das war nicht gerecht. Die Maus konnte sich nicht damit abfinden, dass da noch jemandanders war, mit dem sie die Zuneigung ihrer Herrin teilen sollte. Sie würde ganz einfach einmal streiken, jawohl das würde sie tun - und zwar umgehend. Soll dann ihre Herrin schauen, wie sie ohne ihre Maus zurechtkommt. Gar nichts würde mehr gehen, dachte sie nicht ohne Rachelust.  Das Bewusstsein ihrer Unentbehrlichkeit hob einen Moment lang ihr Beleidigtsein auf. "Sie kann sich dann
mit ihrem (Einfalts-)Pinsel trösten und schauen, wer ihr die neue Post bringt." Und so bahnte sich die zweite Katastrophe an..... 

Nichtsahnend kam die Frau nach Hause und wollte noch schnell den Kasten anknipsen, die Lichter leuchteten auf, das Tonzeichen verstummte, sie wartete. Aber oh Schreck, nichts geschah. Die Maus stellte sich tot und versagte ihren Dienst. Konsterniert und ärgerlich hielt die Frau inne und wurde stutzig. Schliesslich stellte sie den Apparat wieder ab und zog den Stromstecker heraus. Was soll das? Dann male ich halt wieder einmal, so wie früher, dachte sie, wandte sich ab und begab sich zum Maltisch. Dort aber wich sie entsetzt zurueck: "Was ist denn da passiert, wie sieht das aus, wer hat das getan!" 

Zwei, drei Tage lang wich sie den beiden unerfreulichen Orten aus und war öfter als sonst ausser Haus. Der Pinsel und die Maus wurden plötzlich Schicksalsgenossen und mussten die ungewohnte Stille und Unsicherheit teilen. Sie fühlten sich beide vernachlässigt und einsam und hatten keine Schadenfreude mehr an ihren Racheakten. Nichtbeachtung und Gleichgültigkeit war schlimmer als ein Donnerwetter und dafür Beachtetwerden. "Hallo", piepste die Maus hinüber, "bist Du wach?" "Ach ja, ich kann schon lange nicht mehr schlafen". "Vielleicht sollten wir etwas unternehmen", meinte die Maus auf einmal ganz freundschaftlich, denn sie fühlte sich doch etwas mitschuldig, dass sie die Aufmerksamkeit derart auf sich gezogen hatte, dass er wegen ihr ganz vergessen worden war. "Ich werde mit meinem Chef, Herrn PC, sprechen, obwohl er sich mir gegenüber auch nicht immer so fein verhält, denn stets steht nur er im Rampenlicht, wenn etwas gut geraten ist. Aber wenn es schief läuft, muss ich schuld sein. Aber in diesem Fall werde ich mich überwinden und ihm erzählen, was geschehen ist." Herr PC hörte sich die Sache mit ernster Miene an, denn diese Angelegenheit betraf auch ihn und den ganzen Betrieb. Er dankte der Maus für ihre wichtigen Informationen und überlegte, was zu tun sei. Es handelte sich um eine ausserordentlich ernstzunehmende Existenzfrage, wenn er und seine Leute nicht mehr gebraucht würden. Um Mitternacht würde er eine Krisensitzung abhalten, die Maus solle alle Beteiligten umgehend orientieren. 

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